Immer öfter taucht die Frage auf, ob man einen Gast dazu „zwingen“ kann, seine Garderobe abzugeben. Gemeint sind damit hauptsächlich Wintermäntel, die – über die Stuhllehne gehängt – möglicherweise bei einer schnellen Räumung des Saales stören könnten. Für den Gast ist das dann ärgerlich, wenn er für die Abgabe noch Geld zahlen soll. Ist eine “Garderobenpflicht” überhaupt zulässig?
Urteile dazu kenne ich keine, vermutlich hat sich auch noch nie ein Gast gerichtlich dagegen gewehrt, dass er seinen Mantel abgeben musste. Dennoch versuche ich mich einmal an dem rechtlich gar nicht so einfachen Thema, da es viele Betreiber und Veranstalter betrifft, und bewege mich damit auch auf juristischem Neuland. Umso mehr würde ich mich über ein Feedback dazu freuen.
Hier kommen verschiedene Aspekte zum Tragen:
1. Der Vertrag mit dem Besucher
Grundsätzlich kann der Veranstalter die Spielregeln vorgeben. Dabei kann er alles machen, sofern
- er den Gast nicht diskriminiert,
- er den Gast nicht sittenwidrig behandelt,
- die vertragliche Regelung AGB-rechtskonform ist.
Eine Diskriminierung gibt es nur in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Alter usw. aber nicht mit Blick auf die Garderobe. Anders wäre es nur, wenn der Veranstalter bspw. nur den Senioren über 70 Jahren die Abgabepflicht vorgeben würde. D.h. insbesondere, dass der Gast vor Vertragsschluss über die Garderobenabgabepflicht informiert sein müsste.
Sittenwidrig könnte die Abgabepflicht sein, wenn sie erkennbar unnötig und sinnlos ist bzw. ggf. noch verbunden mit besonders hohen Garderobengebühren, so dass man schon von „Abzocke“ sprechen könnte.
Eine Regelung zur Abgabepflicht wäre immer auch eine Allgemeine Geschäftsbedingung, da sie gegenüber mehreren Personen = Besuchern verwendet wird. Das bedeutet, dass die Regelung dem strengen AGB-Recht genügen müsste, d.h.
- sie müsste vor Vertragsschluss einbezogen werden,
- sie dürfte nicht überraschend sein, d.h. nicht an einer Stelle stehen, an der der Besucher nicht damit rechnen müsste,
- sie müsste transparent (lesbar, gut formuliert) sein,
- sie müsste eindeutig formuliert sein, also nicht mehrere Deutungsmöglichkeiten zulassen, und
- sie dürfte den Besucher nicht unangemessen benachteiligen.
In der Praxis wird die Wirksamkeit der Regelung vermutlich schon an der ersten Voraussetzung scheitern, da der Veranstalter den Besucher dann nämlich tatsächlich vor Vertragsschluss auf diese Regelung hinweisen müsste. Zudem ist durchaus auch fraglich, ob eine solche Regelung – vor allem wenn sie pauschal für jede Art von Veranstaltung angewendet wird – den Besucher nicht unangemessen benachteiligt (siehe dazu auch unten Ziffer 3.).
Wünscht übrigens der Betreiber im Rahmen seiner Pflichten aus der Versammlungsstättenverordnung die Abgabepflicht bei einer Fremdveranstaltung (= externer Veranstalter), so kann er dies vertraglich gegenüber dem Besucher kaum durchsetzen, da der Vertrag zwischen Veranstalter und Besucher zustande kommt. Er kann aber mittels des Mietvertrages den Veranstalter dazu zwingen, die Abgabe mit dem Besucher zu vereinbaren.
2. Das Hausrecht
Unabhängig vom Vertragsverhältnis besteht auch immer das Hausrecht – im Regelfall zugunsten des Betreibers der Versammlungsstätte. Im Rahmen des Hausrechts können insbesondere auch sicherheitsrelevante Anforderungen durchgesetzt werden.
Allerdings kann auch das Hausrecht nicht willkürlich ausgeübt werden: So kann ein regulär geschlossener Besuchsvertrag bspw. nicht über das Hausrecht grundlos torpediert werden. Sprich: Über das Hausrecht kann ich grundsätzlich keine vertraglichen Bedingungen ins Spiel bringen, die ich bei Vertragsschluss vergessen habe.
Das Hausrecht greift insbesondere dann, wenn der Besucher die Sicherheit der Veranstaltung oder die Substanz des Gebäudes gefährdet. Mithilfe des Hausrechts kann nämlich auch der Betreiber, der ja mit dem Besucher keinen Vertrag geschlossen hat, gegen den rechtswidrig handelnden Besucher vorgehen.
Der Veranstalter selbst kann sich auf das Hausrecht stützen, wenn ihm das Hausrecht vom Hausrechtsinhaber eingeräumt oder übertragen wurde. Allerdings steht dem Veranstalter ohnehin schon das Vertragsrecht zur Seite: Auch aus dem Vertrag ergeben sich so genannte Nebenpflichten, d.h. bspw. die Duldung des Besuchers bei erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen.
3. Allgemeine Grenzen
Allgemein gilt aber, dass die „Sicherheit“ nicht immer absolut ist – es muss eine Abwägung erfolgen zwischen Sicherheit und bspw. dem so genannten sozialadäquaten Verhalten: So ist bspw. der Konsum von Alkohol sozialadäquat – denn strenggenommen müsste man Alkohol auf der Veranstaltung verbieten, weil alkoholisierte Personen schneller Streit anfangen oder ein Betrunkener bei einer Räumung stürzen könnte.
Und natürlich ist es auch sozialadäquat, im Winter einen Wintermantel dabei zu haben.
Die Abgabepflicht kann m. E. also dann nicht durchgesetzt werden, wenn nicht tatsächlich ein nicht unerhebliches Gefahrenpotential von dem in den Saal eingebrachten Mantel ausgeht.
Zu berücksichtigen ist nämlich auch, dass auch
- gehbehinderte Besucher oder
- körperlich dicke Besucher oder
- schwerhörige Besucher oder
- betrunkene Besucher oder
- Kleinkinder usw.
ein gewisses Risikopotential inne haben, dass eine Räumung ggf. nicht völlig reibungslos funktioniert. Ich würde also sagen, dass eine Abgabepflicht für die Garderobe – zumal wenn der Besucher dafür Geld zahlen soll – nur in folgenden Fällen gerechtfertigt ist:
Der Besucher wird vor Vertragsschluss ausdrücklich darauf hingewiesen. Dies dürfte aber in der Praxis schon aus „optischen“ Gründen kaum der Fall sein.
Das Risiko aufgrund der in den Saal eingebrachten Garderobe der Besucher überwiegt aufgrund konkret bestehender Beeinträchtigungen (Verengung von Rettungswegen, Stolperfallen o. Ä.) das sozialadäquate Bedürfnis des Besuchers, einen Mantel anhaben und während der Vorstellung ausziehen und über die Stuhllehne hängen zu dürfen – und zwar m. E. bezogen auf den Besucherschnitt und nicht auf den einzelnen Besucher mit seinem Mantel. Stolpert der Besucher nämlich selbst über seinen Mantel bzw. bleibt er daran hängen, ist das das Problem des Besuchers selbst; hierfür kann der Veranstalter bzw. Betreiber nicht verantwortlich gemacht werden. Würde die Garderobe aber die Fluchtwege für alle bzw. mehrere Besucher beeinträchtigen, könnte eine Abgabepflicht in Frage kommen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ohnehin fraglich ist, wieweit die Pflicht von Veranstalter und Betreiber reicht, die Rettungswege freizuhalten. Kann z. B. das Problem umgangen werden, wenn einfach die Stuhlreihen etwas weiter auseinander gestellt werden?
4. Garderobengebühren
Problematisch könnte noch sein, ob bei einer gerechtfertigten Abgabepflicht eine Gebühr vom Besucher verlangt werden kann.
Grundsätzlich wäre eine Gebühr jedenfalls dann denkbar, wenn dies vor Vertragsschluss mit dem Besucher vereinbart wird, der Besucher also vorher weiß, was auf ihn an Kosten zukommt und er ggf. entscheiden kann, dann eben die Veranstaltung erst gar nicht zu besuchen.
Wird der Besucher aber erst auf bzw. in der Veranstaltung mit der kostenpflichtigen Garderobenpflicht konfrontiert, stellt sich die Frage, warum ausgerechnet derjenige Besucher, der einen Mantel dabei hat und ihn abgeben soll, dafür Geld bezahlen soll: Müsste dann nicht auch der gehbehinderte oder sich nur der schwerfällig fortbewegen könnende Besucher auch eine erhöhte „Sicherheitsgebühr“ bezahlen? Hier stoßen also m. E. die sozialadäquaten Bedürfnisse der Menschen auf das wirtschaftliche Denken des Veranstalters bzw. Betreibers. Denn der hat oftmals ein Drittunternehmen beauftragt, die Garderobe zu führen und hier entstehen ihm Kosten.
Wenn überhaupt, wäre eine Gebühr nur in Höhe der tatsächlichen Kosten gerechtfertigt – auch aus dem Grund, dass der Veranstalter bei der Garderobenpflicht ja auch für die Garderobe haftet.
Ergebnis:
Pauschal lässt sich die Frage, ob eine Garderobenpflicht zulässig ist, zumal mit Gebühren, m.E. nicht beantworten. Wie so oft, ist dies vom Einzelfall abhängig.