In der Corona-Pandemie mussten viele Verträge rückabgewickelt werden, weil die Vertragsdurchführung durch Verbote unmöglich wurde. Strittig war dabei die Frage: Wenn man heute bereits erahnt, dass in Zukunft ein schwerwiegendes Ereignis eintritt (z.B. eben ein pandemiebedingtes Verbot, ein Streik usw.), darf man dann bereits den Rücktritt erklären – obwohl des Ereignis noch nicht eingetreten ist?

Das einzige, das dabei unstreitig ist: Tritt das Ereignis dann nicht ein, wären vertraglich vereinbarte Stornogebühren, ansonsten der vereinbarte Preis zu zahlen.

Der Vorteil eines solchen Rücktritts: Es fallen keine Stornogebühren an, weil es letztlich kein Storno ist, sondern ein gesetzlich geregelter Fall der vorzeitigen Vertragsauflösung.

Der Unterschied liegt auf der Hand: Fällt eine Stornogebühr an, oder wäre der Rücktritt kostenfrei?

Maßgeblich ist also die Frage, welcher Zeitpunkt für den Eintritt des Ereignisses, das die Vertragsdurchführung unmöglich oder unzumutbar macht, relevant ist: Der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung? Oder können auch noch nach Rücktrittserklärung eintretende Umstände berücksichtigt werden und dem Rücktritt quasi „zugute kommen“?

Der Bundesgerichtshof, unsere in Deutschland höchste Zivilinstanz, hatte in einem reiserechtlichen Fall durchblicken lassen, dass man dazu tendiere, auch später eintretende Ereignisse noch zu Gunsten des Rücktritts gelten zu lassen – d.h. dass der Rücktritt wirksam wäre auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Rücktritts das Ereignis selbst noch nicht eingetreten ist.

Da europarechtliche Regelungen einheitlich ausgelegt werden müssen, legte der Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof diese Frage zu Klärung vor. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden: Maßgeblich ist nur, was zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bereits vorliegt.

Das bedeutet: Wer zu früh zurücktritt, muss die vereinbarten Stornogebühren bezahlen; sind keine vereinbart bzw. sind die Fristen bereits abgelaufen, würde der volle Betrag fällig werden (u.U. unter Abzug von ersparten Aufwendungen).

Der Europäische Gerichtshof begründet diese Überlegung u.a. damit, dass ansonsten eine Rechtsunsicherheit bestehen würde, und die Vertragspartner quasi bis zum Eintritt des Ereignisses bzw. zu Vertragsbeginn warten müssten, was passiert – und erst dann klar sei, welche Rechtsfolge eintrete.

Auf der anderen Seite – man denke nun mal an eine Veranstaltung – müsste ja bis zu einem Rücktritt der andere Vertragspartner so tun, als ob die Veranstaltung wie geplant stattfinden würde; und zwar auch dann, wenn die Wahrscheinlichkeit bereits hoch ist, dass ein Unmöglichkeitsereignis eintritt. Damit entstünden aber ggf. auch weitere Kosten…

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes bezieht sich auf das Reiserecht und betraf einen Verbraucher. Aber den Rechtsgedanken wird man auch auf B2B-Geschäfte außerhalb des Reiserechts übertragen können. Denn wenn schon nicht der Verbraucher geschützt wird, wird ein Unternehmer bekanntlich ja nicht mehr geschützt.

Aber: Im B2B-Geschäft können die Vertragspartner in gewissem Rahmen vertragliche Vereinbarungen treffen, wie in solchen Situationen verfahren werden kann – insbesondere mit Blick auf unnötige Kosten, die bei einem „weiter-so-bis-das-erwartete-Ereignis-eintritt“ entstehen, halte ich das auch für sinnvoll.

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