Höhere Gewalt
Begriff aus dem LexikonHöhere Gewalt (auch force majeure, aus dem französischen) regelt man mit den Rechtsfolgen bestenfalls in einem Vertrag. Sie ist nach der Rechtsprechung ein “betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist”, so bspw. der Bundesgerichtshof. Mit dem Begriff sollen diejenigen Risiken von der Haftung ausgeschlossen werden, die bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem gefährlichen Unternehmen, sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können.
Höhere Gewalt ist grundsätzlich nicht ohne Weiteres einfach ein starker Regen oder ein starker Wind. Es muss sich schon um einen außergewöhnlichen Starkregen oder einen Orkan handeln, dass man von Höherer Gewalt sprechen kann.
Wenn über viele Tage außergewöhnlich viel Niederschlag fällt und Meteorologen in manchen Städten von einem Hochwasser sprechen, das seit 400 Jahren einen traurigen Rekord erzielt, dann kann man auch juristisch von Höherer Gewalt sprechen.
Aber: Nicht jedes x-beliebige Hochwasser ist Höhere Gewalt, es muss sich schon um ein außergewöhnliches Hochwasser handeln. Wenn die Veranstaltungsstätte in einem Hochwassergebiet liegt, dass bei jedem durchschnittlichen Regen überschwemmt wird, dann ist das keine Höhere Gewalt.
Höhere Gewalt kann auch ein Vulkanausbruch sein, der verhindert, dass der Künstler mit dem Flugzeug anreisen kann, oder ein Streik, ein Erdbeben, ein Krieg, ein Terrorakt usw. Dies muss aber die Vertragspartner unmittelbar betreffen, d.h. nur weil irgendwo ein Krieg ausbricht, kann man sich noch lange nicht auf Höhere Gewalt berufen.
Der “Corona-Virus” sorgte landesweit für Veranstaltungsverbote; anfangs vereinzelt, ab Mitte März 2020 dann bundesweit. Am 11. März 2020 rief die Weltgesundheitsorganisation eine Pandemie aus. Auch das kann Höhere Gewalt sein. Lesen Sie ausführlich dazu auf unserer Sonderseite.
Gerade bei einer Pandemie gibt es eine Reihe von komplexen Rechtsfragen, die man bestenfalls im Vertrag regelt.
- Wie geht man um mit Empfehlungen von Behörden?
- Wie geht man damit um, wenn nur die Veranstaltung verboten wird?
- Wie geht man mit hohen Auflagen um?
- Wie geht man um mit massenhaften Absagen von Teilnehmern?
- Wie geht man damit um, wenn vergleichbare Events abgesagt werden?
- Wie geht man mit Zutrittsverboten für einzelne Personen um?
- Welcher Zeitpunkt ist für die Bewertung maßgeblich, ob Höhere Gewalt gegeben ist? Der Zeitpunkt der Absage oder der Veranstaltung?
Update vom 12.01.2022: Der Bundesgerichtshof hat ein erstes wegweisendes Urteil zu Betriebsschließungen in der Pandemie gefällt. Die Kurzversion: Von Höherer Gewalt ist nur diejenige vertragliche Leistung betroffen, die tatsächlich auch direkt verboten wurde. Ein Beispiel: Wenn der Veranstalter einen Raum mietet, und wird pandemiebedingt die Veranstaltung verboten, liegt mit Blick auf den Mietvertrag keine Höhere Gewalt vor. Diese Rechtsfrage war noch umstritten, am 12.01.2022 hat der Bundesgerichtshof nun aber diesen Streit ein- für allemal entschieden.
In einem Beitrag habe ich dies ausführlich erklärt »
Höhere Gewalt und die Folgen
Höhere Gewalt führt juristisch zur Unmöglichkeit der Leistungen: In einem Vertrag gibt es Leistungen, die die Vertragspartner erbringen müssen. Durch die Höhere Gewalt wird die Erbringung eben dieser vertraglich geschuldeten Leistungen unmöglich.
Ein Beispiel:
Eine Band soll bei einer Veranstaltung auftreten. Sie kann aber nicht anreisen, da die Zufahrtswege wegen Hochwasser gesperrt sind, der Veranstalter muss die Veranstaltung absagen, dass seine Mitarbeiter wegen Hilfeleistungen ausfallen und die Halle unter Wasser steht. Qualifiziert man das Hochwasser nun als Höhere Gewalt, werden beide Vertragspartner von ihrer Leistungspflicht befreit: Die Band muss nicht mehr auftreten (ginge ja auch gar nicht). Umgekehrt muss aber auch der Veranstalter keine Gage zahlen – denn er soll nicht das Risiko der Unmöglichkeit durch Höhere Gewalt tragen. Bei Höherer Gewalt gehen also beide Vertragspartner auseinander, als ob sie keinen Vertrag geschlossen hätten – jeder bleibt auf seinen Kosten alleine sitzen. Unter gewissen Umständen kann man von dieser gesetzlichen Regelung mittels AGB abweichen; hier ist aber besondere Vorsicht geboten, da die Formulierung dieser AGB den sehr strengen Anforderungen des AGB-Rechts genügen muss.
Die Höhere Gewalt kann auch nur bei einem Vertragspartner auftreten:
Kann ein Künstler wegen eines Vulkanausbruchs auf Island nicht zum weit entfernten Veranstaltungsort fliegen, weil der Flug kurzfristig aufgrund eines Flugverbotes gestrichen wurde, liegt ein Fall der Höheren Gewalt vor. Der Künstler muss nicht mehr auftreten, er hat umgekehrt aber auch wieder keinen Anspruch auf seine Gage. Außerdem hätte der Veranstalter auch keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Künstler: Schadenersatz gibt es grundsätzlich nur, wenn der Schädiger den Schaden fahrlässig oder vorsätzlich verursacht hat; bei der Höheren Gewalt aber hat ja gerade keiner der beiden Vertragspartner schuldhaft etwas getan.
ALLE BEITRÄGE ZUR HÖHEREN GEWALT
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