Seit März 2020 sind eine Vielzahl von Veranstaltung der Pandemie zum Opfer gefallen. Viele Veranstalter sahen sich gezwungen, geschlossene Verträge rückabzuwickeln und Ticketeinnahmen zurückzuzahlen, und kamen dadurch schnell in finanzielle Nöte. Um dies abzufedern, hatte die Bundesregierung eine Reihe von Gesetzesänderungen eingeführt – u.a. die sog. Gutscheinlösung: Wenn die Tickets vor dem 08.03.2020 verkauft wurden und die (Freizeit-)Veranstaltung abgesagt werden musste, konnte der Veranstalter einen Gutschein ausstellen. Für viele Ticketkäufer war das misslich: Sie hatten keine Veranstaltung, und kein Geld.
Seit Januar 2022 muss der Veranstalter zwar das Geld auszahlen, wenn der Gutschein nicht zwischenzeitlich eingelöst wurde. Dennoch liegt beim Europäischen Gerichtshof noch ein Verfahren, in dem es um diese Gutscheinlösung geht. Eine Ticketkäuferin hatte vor dem Amtsgericht Bremen die Fa. Eventim verklagt, da Eventim nur einen Gutschein ausgestellt hatte. Die Ticketkäuferin argumentiert, dass sie wie üblich im Onlinekauf ein gesetzliches Widerrufsrecht habe, das die Gutscheinlösung verdränge. Eventim hält dagegen: Das Widerrufsrecht sei ausgeschlossen, da es sich um eine Freizeitveranstaltung handele (siehe § 312g Absatz 2 Nr. 9 BGB).
Die Streitfrage: Eventim ist nur der Ticketverkäufer, und eben nicht der Veranstalter der Freizeitveranstaltung. Darf sich Eventim dann überhaupt auf § 312g Absatz 2 Nr. 9 BGB berufen?
Das Amtsgericht Bremen glaubt: nein. Da § 312g BGB und diese Rechtsfrage auf der EU-Verbraucherschutzrichtlinie basieren, und damit europäisches Recht betroffen ist, hat das Amtsgericht den Europäischen Gerichtshof angerufen. Nun muss dieser diese Frage EU-einheitlich entscheiden.
Das Urteil wird kaum Auswirkung auf die nicht mehr bestehende Gutscheinlösung haben. Wenn der EuGH aber der Auffassung des Amtsgericht Bremen folgen sollte (= § 312g Absatz 2 Nr. 9 BGB ist nicht anwendbar und damit hätte der Ticketkäufer ein Widerrufsrecht), dann hätte dieses Urteil gravierende Auswirkungen auf alle Tickethändler.
Jetzt hat der EuGH diese Frage entschieden:
Es kommt vor, dass Personen, die ein Ticket für eine Veranstaltung gekauft haben, überzeugt davon sind, sie könnten jederzeit wieder vom Vertrag zurücktreten – und zwar kostenfrei. So einfach ist das natürlich nicht, und der Europäische Gerichtshof hat jetzt eine wichtige Frage dazu entschieden.
Vorweg: Es gibt einen Grundsatz im Vertragsrecht, den schon die alten Römer kannten: Pacta sund servanda, also Verträge sind einzuhalten. „Einfach so“ kann man also einen einmal geschlossenen Vertrag nicht wieder auflösen.
Es gibt grundlegend zwei Möglichkeiten, aus einem Vertrag wieder herauszukommen: Weil eine Erlaubnis dazu im Gesetz steht, oder weil sie im Vertrag vereinbart wurde:
Regelungen im Gesetz
Z.B. die Anfechtung, der Rücktritt, die Kündigung… Dazu müssen die im Gesetz jeweils beschriebenen Voraussetzungen erfüllt sein, z.B. bei einer Anfechtung ein Irrtum, oder beim Rücktritt eine vorherige erfolglose Mahnung.
Regelungen im Vertrag
Der bekannteste Fall ist die Stornierung, die grundlos möglich ist, im Gegenzug der Kunde aber eine Pauschale bezahlen soll. Man kann aber auch gesetzliche Beendigungsgründe „aufbohren“ und weitere Details bzw. Möglichkeiten vereinbaren.
Sonderfall bei Verbrauchern
Verbraucher (siehe § 13 BGB) haben ein Sonderprivileg, wenn Sie im Internet oder über Telefon Verträge schließen (sog. Fernabsatzverträge): Sie können den Vertrag widerrufen, und zwar ohne Angabe von Gründen. Dies liegt u.a. daran, dass der Verbraucher seinen Vertragspartner und die Waren nicht „in echt“ anschauen kann.
Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage, wenn der Unternehmer seinen Verbraucherkunden ordnungsgemäß über das gesetzliche Widerrufsrecht belehrt hat. Fehlt diese Belehrung oder war sie falsch, dann hat der Verbraucherkunde sogar 1 Jahr und 14 Tage Zeit, den Vertrag grund- und kostenlos zu widerrufen.
Von dem Widerrufsrecht gibt es einige im Gesetz definierte Ausnahmen in § 312g BGB, für den Veranstaltungsbereich insbesondere in der Ziffer 9:
Kein Widerrufsrecht besteht für „Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken, Beförderung von Waren, Kraftfahrzeugvermietung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie zur Erbringung weiterer Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht“.
Das betrifft also bspw. Kulturveranstaltungen wie Theater, Kino, Konzerte usw., wenn der Vertragspartner ein Verbraucher ist = dann kann er den Vertrag ausnahmsweise nicht widerrufen.
Zweck des Ausschlusses vom Widerrufsrecht
Der Zweck dieser Ausnahmeregelung besteht darin, den Veranstalter gegen das Risiko im Zusammenhang mit der Bereitstellung bestimmter Kapazitäten, die er im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts möglicherweise nicht mehr anderweitig nutzen kann zu schützen. Dies macht das Gesetz jedenfalls bei Veranstaltungen im Kultur- und Sportbereich so, also bei Freizeitveranstaltungen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob es dem Veranstalter ggf. möglich wäre, die durch den Widerruf frei gewordenen Kapazitäten anderweitig zu nutzen, indem er bspw. die betreffenden Eintrittskarten an andere Besucher weiterverkaufen könnte. Denn andernfalls würde die Ausübung des Widerrufsrecht immer nur vom Einzelfall abhängen, was man oftmals ja auch erst hinterher wissen kann: Wie aber soll ein Recht vorher ausgeübt werden können, wenn man erst hinterher entscheiden kann, ob ein Weiterverkauf möglich wäre oder war?
Auch, wenn Vermittler eingeschaltet sind?
Der Europäische Gerichtshof hat jetzt die Frage entschieden, ob der Ticketkauf widerrufen werden kann, wenn der Verkauf nicht direkt über den Veranstalter selbst erfolgt, sondern über einen Tickethändler; im konkreten Fall war das Eventim.
Und so hat der Europäische Gerichtshof entschieden: Es kommt darauf an, ob die Folgen eines Widerrufs (nämlich die Ticketgelder zurückzahlen zu müssen), letztlich den Veranstalter treffen würden, der einen Ticketvermittler eingesetzt hat. Denn der Veranstalter soll nicht deshalb ein Risiko tragen, nur weil er einen Vermittler eingesetzt hat, der seine Tickets verkauft.
Im konkreten Fall hatten Eventim und der Veranstalter vereinbart, dass der Veranstalter den Kaufpreis erstatten müsse, wenn der Käufer Eventim zur Rückzahlung des Kaufpreises auffordere. Juristisch übersetzt heißt das:
Wenn der Tickethändler zwar im eigenen Namen, aber für Rechnung des Veranstalters von Freizeitbetätigungen handelt, dann kann sich auch der Vermittler auf den gesetzlichen Ausschluss des Widerrufsrechts berufen.