Die Scheinselbständigkeit in der Veranstaltungsbranche ist nicht nur weit verbreitet, sondern auch vielen unklar: Ab wann ist man denn nun scheinselbständig? Auf dieser Seite beschreibe ich einige Kriterien, die für oder gegen die Scheinselbständigkeit sprechen.

Allgemein gilt: Ein einzelnes Kriterium, das erfüllt ist, wird selten die Scheinselbständigkeit auslösen. Es geht um die sog. Gesamtschau, d.h. die Gerichte bewerten alle Umstände. So kann es durchaus sein, dass einzelne Kriterien erfüllt sind bzw. für Scheinselbständigkeit sprechen, und andere dagegen. Und dann geht es um die Wertung: Welche Kriterien überwiegen (nicht zahlenmäßig, sondern quasi gewichtig bzw. inhaltlich)?

Im Einzelnen:

Vorgaben des „Auftraggebers“

Allein die Vorgaben von Ort und Zeit spielen im Regelfall keine entscheidende Rolle: Denn auch der Selbständige kann seine Tätigkeit oft nur an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten erbringen müssen, weil es eben in der Natur der Sache liegt, dass die Veranstaltung an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit stattfindet.

Pflicht zur Höchstpersönlichkeit

Sind die Arbeitskräfte im Vertrag zur höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet, wird es kritisch: Entscheidend ist zwar immer die Gesamtschau über alle Kriterien, aber wenn die Arbeitskraft verpflichtet ist, alle Leistungen auch tatsächlich in Person zu erbringen und keine eigenen Mitarbeiter oder Subunternehmer einsetzen darf, dann ist umso wichtiger, dass möglichst viele andere Kriterien nicht erfüllt sind.

Die Pflicht zur Höchstpersönlichkeit ist dann kein besonders gefährliches Kriterium mehr, wenn die Arbeitskraft ein spezialisierte Person hat, so dass es auch hier in der Natur der Sache liegt, dass nur er die Leistungen erfüllen kann.

Abrechnung nach Zeitaufwand

Der Umstand, dass die Arbeitskraft dem Auftraggeber pauschale Tagessätze in Rechnung stellt und nicht nach einem bestimmten Stundensatz abechnet, spricht grundsätzlich gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, da sie hierdurch einem Entlohnungsrisiko ausgesetzt ist. Im Gegensatz zur arbeitnehmertypischen Entlohnung ist bei Pauschalen die Arbeitskraft nämlich dem Risiko ausgesetzt, im Falle eines zeitlich längeren als von ihr vorab kalkulierten Arbeitseinsatzes (etwa beim Auftreten technischer Schwierigkeiten o.ä.) unter Umständen keine Gegenleistung zu erhalten.

Schreibt die Arbeitskraft keine Rechnung, spricht das für Scheinselbständigkeit: Typisch für einen Unternehmer ist, dass er Rechnungen schreibt. Muss er das nicht, er bekommt aber trotzdem sein Geld, sollte das stutzig machen. Andererseits befreit eine Rechnungsstellung nicht automatisch vom Risiko der Scheinselbständigkeit; eher spricht das Fehlen dann eher für eine Scheinselbständigkeit.

Unternehmerisches Risiko

Wenn die Arbeitskraft nicht befürchten muss, für Schlecht- oder Minderleistungen weniger Geld zu bekommen, ist das ein wichtiges Indiz für Scheinselbständigkeit: Denn der wirklich Selbständige muss für jeden Schaden gerade stehen.

Maßgeblich für die Beurteilung ob ein Unternehmerrisiko vorliegt ist grundsätzlich, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes also ungewiss ist. Beschafft die Arbeitskraft also eigenes Werkzeug, eigene Fahrzeuge, schließt eine Betriebshaftpflichtversicherung ab usw., kann das gegen die Scheinselbständigkeit sprechen. Aber auch hier gilt die Gesamtschau!

Wenn die Arbeitskraft sich zwar eigenes Equipment beschafft und es auch einsetzt, aber je nach den konkreten Anforderungen einer Veranstaltung auf größere bzw. spezielle Geräte aus den Lagerbeständen des Auftraggebers zurückgreifen muss, führt das nicht automatisch zur Scheinselbständigkeit: Denn man muss berücksichtigen, dass bspw. Existenzgründer oder auch kleinere Unternehmen keine dem Lagerbestand einer langjährig tätigen Firma entsprechenden Anschaffungen tätigen können. Auch hier kommt es auf die Gesamtschau an: Wie oft kommt das vor?

Höhe der Vergütung

Das Bundessozialgericht hat mal entschieden: „Liegt das vereinbarte Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers, z.B. eines fest angestellten Erziehungsbeistands, und lässt es dadurch Eigenvorsorge zu, ist dies ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit“.

Das bedeutet: Je weniger Vergütung die Arbeitskraft erhält, kann das umso mehr für die Scheinselbständigkeit sprechen. Je mehr aber die Kosten der Arbeitskraft über dem üblichen Stundensatz eines Angestellten liegen, desto eher spricht das für Selbständigkeit: Denn dann kann sich die Arbeitskraft selbst versichern, selbst Werbung betreiben, selbst Werkzeuge beschaffen usw.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte bei der Frage, ob ein Veranstaltungstechniker scheinselbständig ist oder nicht, folgende Berechnung aufgemacht: Ein vergleichbarer Angestellter hatte 14 Euro pro Stunde verdient, der Veranstaltungstechniker hingegen ca. 30 Euro pro Stunde. Dieser deutliche Mehrbetrag sprach dann gegen die Scheinselbständigkeit.

Einheitliche Kleidung

Für Scheinselbständigkeit spricht, wenn die Arbeitskräfte auf Wunsch des Auftraggebers einheitliche Firmenkleidung tragen sollen. Die Absicht dahinter ist dann oft klar: Der Auftraggeber will, dass das fremde Personal nach außen den Eindruck erweckt, es gehöre dazu. Daher spricht dieses Motiv für die sozialversicherungspflichtige Abhängigkeit, da einheitliche Firmenkleidung  arbeitnehmertypisch ist.

Anders kann es sein, wenn es bspw. um einheitlich „dunkle Kleidung“ geht, oder die Einheitskleidung aus rein praktischen Gründen die sinnvolle Zuordnung zu bestimmten Tätigkeitsbereichen erleichtern soll (z.B. für Technik, Catering usw.). Wie gesagt, es kommt auf die Gesamtschau aller Umstände an.

Möglichkeit, Aufträge abzulehnen

Dass die Arbeitskraft einzelne Aufträge auch ablehnen kann, spricht für die Selbständigkeit. Umgekehrt bedeutet aber, wenn die Arbeitskraft alle Aufträge annimmt, nicht automatisch die Scheinselbständigkeit: Denn bei wenigen Anfragen und geringer Auslastung bzw. geringen Zeitaufwandes kann es durchaus sein, dass die Arbeitskraft keinen Auftrag ablehnen muss.

Dieses Kriterium ist daher nicht sonderlich gewichtig. Hinzu kommt: Auch in einem sozialversicherungspflichtigen Abrufarbeitsverhältnis steht es dem Arbeitnehmer frei, einzelne Abrufe abzulehnen.

Aber: Ist die Arbeitskraft vertraglich verpflichtet, jeden Auftrag anzunehmen und auszführen, dann spricht das wiederum für Scheinselbständigkeit.

Gewerbeanmeldung

Auch die Tatsache, dass die Arbeitskraft ein Gewerbe anmeldet, ist kein gewichtiges Indiz gegen die Scheinselbständigkeit: Denn ein Gewerbetreibender kann eben – das ist ja das Phänomen der Scheinselbständigkeit – auch in persönlicher Abhängigkeit tätig werden. Außerdem prüft das Gewerbeamt auch nicht, ob die angemeldete Tätigkeit tatsächlich auf selbständiger Basis beruht.

Das Merkmal gilt eher umgekehrt: Fehlt eine Gewerbeanmeldung, spricht das umso deutlicher für eine Scheinselbständigkeit.

Tätigkeiten auch für andere Auftraggeber

Dass die Arbeitskraft auch für andere Auftraggeber tätig ist, spricht auch nicht zwingend gegen die Scheinselbständigkeit: Denn es kommt immer auf das konkrete Auftrags- bzw. Beschäftigungsverhältnis an, d.h. dieselbe Tätigkeit (z.B. Bühnenhelfer) kann beim Auftraggeber A eine selbständige Tätigkeit sein, aber beim Auftraggeber B dann eine sozialversicherungspflichtige abhängige Tätigkeit.

Es schadet auch nicht, wenn die Arbeitskraft nur einen einzigen Auftraggeber hat (das war früher mal so).

Weisungen von Dritten

Ist die Arbeitskraft weisungsgebunden, ist sie scheinselbständig.

Aber nicht jede „Weisung“ ist eine solche Weisung:

Ein Beispiel: In einer Versammlungsstätte muss gemäß § 40 Versammlungsstättenverordnung ein Meister für Veranstaltungstechnik anwesend sein. Die beauftragte Arbeitskraft, eine Fachkraft für Veranstaltungstechnik, arbeitet fleißig vor sich hin, und der Meister kontrolliert das Ergebnis; er erteilt ggf. Weisungen, was aus seiner Sicht anders zu machen ist. Solche Weisungen beruhen aber auf den Vorgaben der Versammlungsstättenverordnung und sind keine Weisungen im arbeitsrechtlichen Sinne.

Schließlich gibt es auch rein fachliche Weisungen, die ergebnisorientiert sind: Der Auftraggeber muss nicht zuschauen, wie der beauftragte Freelancer alles falsch macht, nur aus Sorge, keine Weisungen zu erteilen.

Sonstige arbeitsrechtliche Leistungen

Schließlich stellte der Bundesgerichtshof auch fest, dass es nicht gegen die Scheinselbständigkeit sprechen würde, wenn der Auftraggeber keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zahlt, wie das bei Arbeitnehmern zwingend wäre. Denn die Nichterfüllung von arbeitsrechtlichen Pflichten resultiert ja typischerweise aus der Absicht oder dem Irrtum heraus, die Scheinselbständigkeit zu vermeiden. Auch hier gilt es umgekehrt: Würde der Auftraggeber auch solche Zahlungen vornehmen (z.B. auch Urlaubsgeld), dann wäre das ein deutliches Indiz für die Scheinselbständigkeit.