Bundesverfassungsgericht entscheidet über Verbote von Veranstaltungen
Von Thomas Waetke 21. Mai 2021Mehrere Kulturschaffende hatten beim Bundesverfassungsgericht gegen den neuen § 28b IfSchG (die sog. Bundes-Notbremse) eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Ihrer Ansicht nach seien sie durch das „Kulturveranstaltungsverbot“ dadurch in der Kunstfreiheit verletzt, dass sie in den nächsten Wochen und Monaten keine Konzerte und Aufführungen im gesamten Bundesgebiet geben könnten. Dies komme einem Kunstausübungsverbot gleich. Kunst erfordere Publikum, da sie auf eine geistige Interaktion mit dem Publikum gerichtet sei. Ziel der Musik sei gerade, durch die Interpretation bestimmter Werke eine künstlerische Botschaft an die Zuhörer zu senden, um dadurch Spannung im Publikum aufzubauen. Für ausübende Künstler wie die Beschwerdeführenden sei die Aufführung von Kunst vor Publikum der maßgebliche Bestandteil ihrer künstlerischen Tätigkeit und letztlich ihrer Grundrechtsausübung.
Außerdem monierten sie die alleinige Anknüpfung an den Inzidenzwert. Pauschale Verbote von Kulturveranstaltungen seien zur Verhinderung der Verbreitung von COVlD-19 nicht erforderlich und zudem unangemessen. Für Kulturveranstaltungen, die in modern belüfteten Veranstaltungsstätten durchgeführt würden, lägen mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Studien vor, die allesamt zu dem Ergebnis kämen, dass ein signifikantes lnfektionsrisiko bei Einhaltung von Hygiene- und Schutzkonzepten nicht festgestellt werden könne
Das Bundesverfassungsgericht aber lehnte diese Verfassungsbeschwerde – wie einige andere auch – jetzt aber ab.
Der Bundesgesetzgeber verfolge mit den Untersagungen von Öffnungen und Veranstaltungen das legitime Ziel, eine Ausbreitung von Infektionen zu verhindern. Dieses Ziel soll durch effektive Maßnahmen zur Reduzierung von zwischenmenschlichen Kontakten erreicht werden, stellte das Gericht fest.
Studien nicht ausreichend aussagekräftig
Auch der Verweis auf wissenschaftliche Studien reichte dem Bundesverfassungsgericht nicht aus. Die Studien sollten nach Ansicht der Antragsteller bestätigen, dass von Kulturveranstaltungen keine nennenswerte Infektionsgefahr ausgehe. Allerdings würden diese Studien für höhere Inzidenzwerte jenseits der Marke von 100 keine signifikante Aussagekraft besitzen, so das Gericht.
So ging das Bundesverfassungsgericht auf die einzelnen Studien kurz ein:
Bayerische Staatsoper
“Der probeweise Betrieb der Bayerischen Staatsoper im Rahmen eines Pilotprojekts erfolgte nach den Angaben der Verfassungsbeschwerde unter den Bedingungen einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 35 und 100 je 100.000 Einwohner. Für Inzidenzwerte von über 100 und die damit einhergehenden erhöhten Gefahren ist diese Studie also schon nicht aussagekräftig.”
Konzerthaus Dortmund
“Die … vorgelegte experimentelle Studie zur Aerosolverteilung im Zuschauerraum des Konzerthauses Dortmund legt nicht offen, welche Inzidenzwerte sie zugrundelegt. Zwar lautet eine Folgerung der Studie, dass die Gefahr von Infektionen durch Aerosolübertragung im Saal mit Mund-Nasen-Schutz sowie ausreichender Frischluftzufuhr über die vorhandene raumlufttechnische Anlage nahezu ausgeschlossen sei. Gleichzeitig wird aber lediglich festgestellt, dass im Konzerthaus Dortmund bei dem vorhandenen Lüftungskonzept kein „Superspreading-Event“ provoziert werden könne. Aussagen für andere Konzerthäuser oder Theater mit vergleichbaren Rahmenbedingungen seien auf Grundlage dieser Studie gerade nicht möglich. Damit vermag auch diese Studie die Einschätzung des Gesetzgebers nicht zu erschüttern.”
Hermann-Rietschel-Institut
“Die vergleichende Untersuchung der Ansteckungsgefahr über Aerosolpartikel in verschiedenen Alltagssituationen des Hermann-Rietschel-Instituts belegt lediglich, dass das situationsbedingte Ansteckungsrisiko (sogenannter RS-Wert) in Theatern und Opern mit einer 30-prozentigen Auslastung der niedrigste aller untersuchten Szenarien ist, etwa im Vergleich zu Supermärkten, Großraumbüros und Klassenzimmern. Eine hinreichende Senkung der Ansteckungsgefahr oder deren weitgehender Ausschluss ist damit nicht dargetan.”
Charité – Universitätsmedizin Berlin
“Die Stellungnahme von Wissenschaftlern des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin vom 17. August 2020 basiert auf deutlich niedrigeren täglichen Neuinfektionen in diesem Zeitraum, nämlich einer Anzahl von 500 bis 1.500 (ca. 1 Infektion pro 100.000 Einwohnern). Die Stellungnahme ging noch davon aus, dass relevante Ausbrüche von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bundesrepublik Deutschland seit Mai 2020 nur noch vereinzelt aufträten. Diese Situation trägt den gegenwärtigen tatsächlichen Umständen nicht Rechnung.”
“Schrittweise Rückkehr von Zuschauern und Gästen”
“Das Konzept „Schrittweise Rückkehr von Zuschauern und Gästen: Ein integrierter Ansatz für Kultur und Sport“ stellt ebenfalls fest, dass durch die Umsetzung der dort beschriebenen Maßnahmen Infektionen jeglicher Art nie zu 100 % ausgeschlossen werden. Lediglich das Risiko eines Ereignisses mit massenhaften Ansteckungen könne durch vorgeschlagene Eckpunkte für Maßnahmen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf ein Minimum reduziert werden. Eine signifikante Senkung der generellen Gefahrprognose ergibt sich daraus nicht.”
Keine Auseinandersetzung mit anderen Urteilen
Schließlich bemängelte das Bundesverfassungsgericht auch, dass sich die Antragsteller nicht ausreichend mit den verschiedenen Gerichtsurteilen auseinandergesetzt hätten. Verschiedene Verwaltungsgerichte haben bereits zuvor bspw. festgestellt, dass es in Kultureinrichtungen typischerweise zur längeren Anwesenheit eines größeren Personenkreises in einem engen räumlichen Umfeld kommt, so dass bereits von einem einzelnen infizierten Besucher eine erhebliche Ansteckungsgefahr ausgehen kann; ebenso, dass die Durchführung von Kulturveranstaltungen allgemein eine erhöhte Mobilität und dadurch gesteigerte Infektionsgefahr mit sich bringen könne.
Wie geht es nun weiter?
Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nur die Eilverfahren entschieden. Es folgt nun das “normale” Verfahren, in dem sich das Gericht ausführlicher mit den verschiedenen Argumenten beschäftigten und ggf. Gutachten einholen wird. Das allerdings wird eine ganze Weile dauern, bis dahin dürfte die Bundesnotbremse schon gar nicht mehr die Relevanz haben wie aktuell.
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