Wie ich schon berichtet habe, hat das Landgericht Hannover kürzlich als erstes Gericht eine Klage eines Gastronomen auf Entschädigungsanspruch abgewiesen. Nun sind auch die Entscheidungsgründe veröffentlicht, die durchaus interessant zu lesen sind. Ein paar Auszüge:
Direkt aus dem IfSchG?
Das Landgericht setzte sich mit der Frage auseinander, ob es Ansprüche direkt aus dem Infektionsschutzgesetz gibt, insbesondere aus § 56 IfSchG oder § 65 IfSchG. Hierbei kommt das Gericht wenig überraschend zu dem Ergebnis, dass diese beiden Anspruchsgrundlagen für einen Entschädigungsanspruch wegen Betriebsschließung aufgrund der Corona-Verordnungen nicht passen (siehe auch meine Bewertung dazu zu § 56 und zu § 65).
Analogie?
Dann hat das Gericht geprüft, ob es eine Analogie zu diesen Rechtsgrundlagen gibt.
Hintergrundinfo
Mit dieser Frage hat sich das Landgericht Hannover ausführlich auseinandergesetzt:
Gerade in der aktuellen Rechtsliteratur wird die Meinung vertreten, dass der Gesetzgeber bei der Fassung des Infektionsschutzgesetzes gar nicht an eine Pandemie derartigen Ausmaßes gedacht habe – was dazu führen soll, dass eine Entschädigung aufgrund einer Analogie zu § 56, § 65 usw. gestützt werden könne.
Das Landgericht hat sich aber dagegen entschieden und begründet das mit dem historischen Verlauf des Gesetzes: 1961 wurde das sog. Bundesseuchengesetz erlassen (aus dem später das Infektionsschutzgesetz wurde). Dort hatte es ursprünglich eine Regelung gegeben, wonach die zuständigen Behörden in die Lage versetzt wurden, weitreichende Maßnahmen u.a. gegen Eigentümer und Gewerbetreibende zu erlassen; ausweislich der Gesetzesbegründung damals aber hat er lediglich die “wichtigsten Entschädigungsfälle” aufgrund dieser Maßnahmen geregelt, nämlich den von Einzelpersonen, die u.a. als Krankheitsverdächtige in Quarantäne geschickt wurden, als auch den von Eigentümern, deren Eigentum man vernichtet hat, um eine Ansteckung zu vermeiden. Dass der Gesetzgeber erkannt hat, dass zahllose Entschädigungsansprüche die Bundesländer in finanzielle Not bringen könnten, hat er in einer Gesetzesänderung 1979 zum Ausdruck gebracht. Auch in der Umwandlung in das Infektionsschutzgesetz hat der Gesetzgeber klargestellt, dass den Entschädigungsansprüchen keine lückenschließende Funktion mehr zukomme.
Hieraus schließt das Landgericht Hannover, dass der Gesetzgeber bewusst Entschädigungsansprüche aller von präventiven Schließungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen gar nicht regeln wollte.
In dieser Auffassung bestärkt sieht sich das Landgericht durch die aktuelle Entwicklung: In einer Stellungnahme vom 16.03.2020 hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Frage, ob “ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn Bars und ähnliche Einrichtungen aufgrund einer Verordnung nach § 32 IfSG geschlossen werden müssen”, verneint.
Der Gesetzgeber hat nach dieser Stellungnahme, konkret am 19.05.2020 und 19.06.2020, das Infektionsschutzgesetz geändert und dabei u.a. mit § 56 Absatz 1a eine neue Entschädigungsgrundlage geschaffen – die aber einen anderen Sachverhalt regelt.
Damit steht für das Landgericht Hannover umso mehr fest, dass der Gesetzgeber tatsächlich gewusst hat, dass es eine “Regelungslücke” gibt, aber dass er sie absichtlich hat bestehen lassen. Eine Analogie ist aber nur zulässig, wenn der Gesetzgeber diese Lücke versehentlich übersehen hätte.
Ich finde diese Argumentation durchaus stichhaltig und nachvollziehbar. Weitere Argumente des Gerichts werde ich hier in einem anderen Beitrag erklären. Wie schon zuvor gesagt: Das ist “nur” die Meinung eines ersten Landgerichts. Die Rechtsfrage wird sicherlich noch viele andere Gerichte beschäftigten und dürfte vermutlich erst durch den Bundesgerichtshof abschließend geklärt werden können.
UPDATE vom 17.03.2022:
Der Bundesgerichtshof hat in letzter Instanz Klagen auf Entschädigungen abgewiesen. Mehr »
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